Zwischendurch mal eine gute Nachricht: Die Mordrate in San Francisco ging im letzten Jahr deutlich zurück. Verloren 2007 und 2008 noch 98 beziehungsweise 97 Menschen ihr Leben, waren es im letzten Jahr “nur” noch 45 Personen – 53 Prozent weniger als 2008. Bleibt zu hoffen, dass dieser Trend anhält.

Dagegen sprechen Nachrichten wie die, dass Munition seit Wochen kaum noch zu bekommen ist, weil ab 2010 die Käufer detailreicher registriert werden. Oder der Kommentar des älteren schwarzen Herrn, der mir gestern auf dem Weg zu einem Neujahrs-Brunch an einer Bushaltestelle ein gutes neues Jahr wünschte und hinzufügte: “Neujahr und der vierte Juli sind Feiertage, die ich nicht ausstehen kann. Viel zu viele Leute, die einfach ohne Sinn und Verstand mit ihren Waffen durch die Gegend ballern.”

Auch gut: Wieder einmal brachen zum Jahreswechsel diverse Telefonnetze zusammen. Nach Deutschland kam ich am Nachmittag des 31.12. kaum durch, am Abend dann hier vor Ort ein nahezu vollständiger Zusammenbruch des AT&T-Handy-Netzes.

Das kann heiter werden, wenn mal richtige Krisen wie das lange beschworene Erdbeben drohen. Wie lief es in dieser Hinsicht anderswo auf der Welt?

Kollege Olma, Meister des kreativen Satzbaus, schickte mir den Link zu einem vierminütigen Streifzug durch das nächtliche San Francisco, produziert von Philip Bloom.

San Francisco's People
Großartige Aufnahmen, die jedoch nicht darüber hinweg täuschen können, wie viele arme und wirklich kaputte Menschen hier im Schatten von Bankenhochhäusern, Tourismus und Internet-Erfolgsgeschichten ihr Leben fristen.

Die Leute schimpfen ja immer gerne auf den vermeintlich schlechten Service der hiesigen Post. Aber vielleicht wäre es angebracht, erst mal den eigenen Beitrag dazu zu überprüfen?

Eben bei meiner Hauspost ein Päckchen abgegeben. Vor mir am Schalter: ein Herr, der sein Postgut online bezahlt und frankiert hatte. Mit Porto-Rabatt. Jetzt will er aber eine Art Versandquittung bekommen. Postmitarbeiter Anthony ist verwirrt: “Die gab es doch schon, nachdem Sie das Porto online gezahlt hatten?” Der Kunde mosert rum, doch das bringt nichts. “Sie können hier höchstens die Differenz zwischen den Portogebühren bezahlen, dann kriegen Sie eine neue Nummer, obwohl Sie doch schon eine bekommen haben.” Unwillig zückt der Herr die Kreditkarte und gibt sie meckernd über den Schaltertresen. “Mal ehrlich: Wenn Sie der Post nicht trauen, warum verschicken Sie dann überhaupt etwas mit uns?” Gute Frage.

Dagegen ist das japanische Pärchen nebenan am Schalter richtig harmlos. Postmitarbeiter James verschwindet hinter einem hinkelsteingroßen Paket, das die beiden auf den Schaltertresen wuchten. “Das soll nach Japan”, radebricht die junge Frau, worauf James antwortet: “Und wo ist die Anschrift?” Das Paket wird von allen Seiten begutachtet, allein: Die Anschrift findet sich nur auf einem Einlieferungsformular, das die beiden zuvor ausgefüllt haben. Immerhin, viele Kunden machen auch das erst, wenn sie am Schalter stehen. Mit der Aufgabe, die Anschrift nun auch auf das Paket zu bannen, ist die Dame milde überfordert. Zuerst fehlt ein Stift (James: “Den hätte ich gerne wieder bekommen.”), dann ist unklar, wo die Adresse landen soll. Ihr Freund fragt sicherheitshalber noch einmal, um die ewige Weisheit “Absender oben links, Empfänger mittig!” zu empfangen. Keine Sekunde zu spät, denn die Japanerin ist schon dabei, ihre Adresse in die Mitte des Paketes zu notieren.

Schließlich bin ich an der Reihe und gebe mein daheim gepacktes, beschriftetes und damit reisefertiges Päckchen ab. Kreditkarte raus, mit Anthony und seiner Kollegin Linda über das Abenteuer Post gescherzt und dann wieder raus in San Franciscos Abendsonne.

Als Auslandskorrespondent landen meine Honorare auf einem deutschen Eurokonto, von dem ich bei einer Partnerbank hier in den USA gebührenfrei Dollars abheben kann. Soweit, so gut. Doch was mir in den letzten beiden Monaten passiert ist, macht mich, vorsichtig ausgedrückt, extrem wütend.

Da zum Monatsersten der Mietscheck unter der Tür des Apartment Managers durchgeschoben werden will, heißt es: Rechtzeitig Geld holen, damit der Scheck nicht platzt. Auf den Anachronismus dieser Methode gehe ich mal besser nicht ein. Jedenfalls wirkte der Geldautomat Anfang Januar minutenlang, um mir dann mitzuteilen, dass die Transaktion nicht durchgeführt werden könne. Weitere Abhebeversuche schlugen fehl, wenige Tage wurden meinem deutschen Konto 1000 Dollar belastet, die ich nie erhalten hatte.

Nach einer kurzen Mail an meine Bank wurde das Problem aus der Welt geräumt, mein Scheck schlug etwa eine Woche zu spät beim Apartment Manager auf, der mich schon telefonisch zu packen versuchte. Letzte Woche wieder ein Gang zur Bank: Erneut wirkte der Automat länger als gewohnt, um dann mit einem knallroten Bildschirm abzustürzen. Der Nachbarautomat meinte nur lakonisch: “Insufficient funds”.

Diesen Spruch lese ich bis heute. Rückfragen an meine deutsche Bank ergaben, dass erneut 1000 Dollar abgebucht worden sind – einmal mehr habe ich diese jedoch nicht erhalten. Bei einem Besuch der amerikanischen Bank meldeten mir die Angestellten, dass sie keinen Zugriff auf die Geldautomat-Logbücher hätten und dass ich dazu doch besser meine Bank in Deutschland befragen solle. Sie können nur eigenen Kunden Geld gutschreiben.

Da ich allerdings diesen Monat mutig war und einen ungedeckten Scheck unter der Tür des Apartment Managers durchgeschoben hatte, ist Warten eine denkbar schlechte Alternative. Umso mehr, da heute früh ein Zahlungsbeleg unter meiner Tür durchgeschoben wurde: Heute abend schon kann die Hausverwaltungsgesellschaft die Mietschecks einlösen. Was mache ich in meiner Not? Ich besorge mir Bargeld über meine Kreditkarte. Klar, dass ich auf den entstehenden Gebühren und Zinsen sitzen bleibe. Klar, dass mich fehlgesteuerte Geldautomaten im 21. Jahrhundert extrem wütend machen.

Update: Es scheint, als hätte der US-Bankangestelle die Wahrheit gesprochen – alle drei Tage führt der Geldautomat eine Art Reset durch. Und merkt, was für einen Unsinn er verzapft hat, denn prompt erscheinen die fehlgebuchten Euro wieder als vorgemerkte Transaktion auf meinem deutschen Konto.

Ich mag Veränderungen. Was mich allerdings grimmig stimmt, sind Neuigkeiten, die mir gestern abend ein Mit-Einkäufer bei Cala Foods erzählte. Der Supermarkt, gerade mal zwei Blöcke von meiner Wohnung entfernt, soll geschlossen werden. So neu, so bekannt, davon sprechen alle Nachbarn schon seit Jahren. Doch schon in sechs Monaten soll es soweit sein.

Nicht nur, dass ich dann keinen halbwegs erschwinglichen Supermarkt mehr in Gehweite habe – dort werden neue Eigentumswohnungen hochgezogen. Richtig, Eigentumswohnungen gibt es hier ja noch nicht genug. Und wer es sich erlauben kann, in San Francisco zu wohnen, der wird ja bitteschön auch Geld für einen Garagenstellplatz mitbringen, damit er die Einkäufe aus den Flächenmärkten außerhalb der Stadt bequem entladen kann. Nur blöd, wenn man gar kein Auto besitzt.

Ebenfalls in Gefahr ist mein geliebter RiteAid-Drogeriemarkt. Er soll angeblich von Konkurrent Walgreens übernommen werden, wobei Walgreens nur wenige Blöcke entfernt zwei weitere Filialen unterhält. Worauf die Nummer hinausläuft, kann man sich denken.

San Francisco mutiert in meinen Augen immer mehr zu einer Art Vergnügungspark. Wer Geld hat, der lebt hier herrlich und in Freuden, alle anderen ziehen doch bitte in die Vororte. Mal sehen, wann hier nur noch kinderlose Paare, Singles und reiche Rentner wohnen.

Knallvoller Bus. Ich beschließe dennoch, nicht auf den nächsten, schon am Horizont sichtbaren zu warten, sondern zwänge mich hinein. Stehe praktisch neben der Fahrerin. In Deutschland hätte es jetzt vermutlich einen Anraunzer gegeben. Hier entspinnt sich ein Gespräch zwischen ihr und mir, das einen wilden thematischen Bogen schlägt: von dem fast vorübergegangenen Januar über früh gekaufte und zu Thanksgiving verschenkte Weihnachtsgeschenke bis hin zu schlaflosen Senioren, die sich vermutlich mit Ginseng aufputschen. Drei, vier Haltestellen später steigen zahlreiche Leute aus, die Lage entspannt sich. Ich rücke tief ins Innere des Busses vor.

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